Im Rahmen des Anne-Frank-Themenraums hatte die Bibliothek am Meer zu einem sehr gut besuchten Zeitzeuginnengespräch mit zwei Aktiven des Vereins „Büsum bleibt bunt“ eingeladen: Im Gespräch mit Britta Baar erzählte Martina Hesse aus ihrer eigenen Geschichte und vor allem der ihrer Mutter und ihres Großvaters als Opfer der mörderischen Judenverfolgung und -vernichtung der NS-Zeit.
Als Jude in einer „privilegierten Mischehe“ mit einer nichtjüdischen Deutschen und als mit dem Ehrenkreuz ausgezeichneter Veteran des Ersten Weltkriegs hatte Julius Piorkowsky durchaus berechtigte Hoffnung, dass das NS-Regime ihn von zentralen Verfolgungsmaßnahmen, Deportation und Vernichtung ausnehmen würde, so dass er nicht zu fliehen versuchte, sondern bei seiner Familie in Frankfurt blieb. Aufgrund des besonderen Eifers des Frankfurter Gestapo-Verantwortlichen Heinrich Baab, der 1950 als NS-Täter verurteilt wurde, wurde er aber im März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Besonders bewegend erzählte Martina Hesse über die Erlebnisse ihrer Mutter, die als Kind durch die Bedrohung durch die Nationalsozialisten nicht nur in Sorge und dann in Trauer um ihren Vater war, sondern als damals so definierte „Halbjüdin“ auch selbst diskriminiert und ausgegrenzt wurde. Nach der Pogromnacht 1938 war sie gezwungen, den jüdischen Teil ihrer Identität zu verstecken und zu verdrängen und sich damit zu „arisieren“, wie sie selbst es nannte, musste die Schule wechseln und Freundschaften beenden, um sich vor noch Schlimmerem zu schützen. Die Schilderung der alltäglichen Bedrückung eines Kindes aus einer so persönlichen Betroffenheit veranschaulichte die bekannten historischen Fakten dieses Menschheitsverbrechens sehr eindrücklich.
Schließlich ging es auch um die Auswirkungen, die diese Familiengeschichte auf Martina Hesse selbst in ihrer Kindheit und Jugend hatte und bis heute hat. Hier boten sich auch zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten für die interessierten Besucherinnen und Besucher der Veranstaltung, da die Auswirkungen der NS- und Kriegszeit auf die Kriegskinder- und enkelgeneration sowohl auf Seiten der Täter und Mitläuferinnen als auch der Opfer und Betroffenen bis heute spürbar sind.
In Gesprächen während der Pause und am Ende der Veranstaltung wurde deutlich, wie wichtig es ist, die historischen Fakten mit biografischen Aspekten zu verbinden, um den Schrecken und die Unmenschlichkeit der NS-Gräueltaten auch für zukünftige Generationen zu überliefern, damit „Nie wieder Auschwitz“ auch weiterhin gilt.
Mit warmherzigem Applaus bedankte sich das Publikum schließlich bei der Zeitzeugin für das Teilen dieser sehr persönlichen Erinnerungen. Martina Hesse schloss mit den Worten: „Als ich vor Jahren gefragt wurde, ob ich die Geschichte meiner Mutter erzählen möchte, habe ich gesagt „Auf keinen Fall!“, aber hier und jetzt als Mitglied von „Büsum bleibt bunt“ war das gut.“